Geboren 1961 in Eslohe, Westfalen)
Abitur 1980 am Gymnasium der Abtei Königsmünster in Meschede
Studium der katholischen Theologie in Bonn, Paderborn und Tübingen,
Krankenpflegerexamen, danach tätig in Krankenhäusern und im psychosozialen Bereich.
Seit 1980 Mitglied der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi.
Autor und Publizist. (Hier nur eine kleine Auswahl. Seine Studien zur massenkulturellen Kriegspropaganda sind 2006 mit dem „Bertha-von-Suttner-Preis“ ausgezeichnet worden.
Frühkirchlicher Pazifismus und “gerechter Krieg” - Teil 3: Abschied vom “gerechten Krieg” im Atomzeitalter, 2006
Peter Bürger bei TRANSPARENZ-TV am 1.9.2021, Thema "Kirche und Weltkriege"
Vortrag von Peter Bürger (Düsseldorf) am 11./12. März 2017 bei pax christi München über die Internationale katholische Konferenz "Nonviolence and Just Peace"
Kontakt: Peter Bürger, Düsseldorf, peter@friedensbilder.de - www.friedensbilder.de
19. August 2022. Telepolis / Heise. Autor: Peter Bürger
Zivilisatorischer Pazifismus
Die militärische Heilslehre gehört zur Dogmatik einer zerstörerischen Zivilisation. Ohne Sturz der Kriegsgottheit wird die Menschheit beim Klimaschutz nie den Kreislauf der Vergeblichkeit durchbrechen.
Es ist spät auf dem Planeten Erde. Gleichwohl haben bürgerliche Fraktionen der Ökologiebewegung hierzulande ihren Frieden mit der Bombe geschlossen und stellen mitunter so etwas wie "Mut zum Dritten Weltkrieg" zur Schau.
Die Opferbereitschaft in der Politik ist enorm. Man zeigt sich bereit, viele Menschenleben (vorerst nicht im eigenen Land) auf dem Altar der "Freiheit" zu opfern, sodann auch das materielle Auskommen der "Behelfers" in der Nähe, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmachen, und nicht zuletzt die Zukunft, nämlich Grundpfeiler der im Wahlkampf angekündigten – ganz tollen – ökologischen Transformation.
Der großherzige Verzicht auf ein Tempo-Limit im Autobahnverkehr hat indirekt wohl ebenfalls etwas mit der neuen Militärdoktrin zu tun, belegt er doch, dass die "Freiheit" allüberall ohne Rücksicht auf Verluste und Vernunftargumente verteidigt werden muss – auch die "Freiheit", den nach uns kommenden Erdbewohnern die Hölle zu bereiten.
Zum öffentlichen Erscheinungsbild der Mutigen gehört vor allem eine Ergriffenheit von der eigenen Ergriffenheit – ein erhebendes Gefühl angesichts von so viel Moralität. Die Hofnarren sagen derweil keine unbequemen Wahrheiten mehr, sondern übernehmen das Amt der besoldeten Hofprediger. In diesem Jahr ließen sie vorzugsweise und denkbar großkotzig eine Pazifisten-Schelte auf fast allen Kanälen vernehmen. Dummheit und Stolz wachsen bekanntlich gerne auf einem Holz.
Auf den Begriff bringen: "Zivilisatorischer Pazifismus"
Über Nacht ist die Militärgottheit – wie zuletzt 2001 – von mächtigen imperialen Akteuren für eine weitere Geschichtsepoche auf den höchsten Thron des Weltgeschehens gesetzt worden. Das wird sich als ein noch größeres Verbrechen gegen die Menschheit und künftige Generationen erweisen als der russische Angriffskrieg in der Ukraine, mit welchem dieser durch Hochrüstungsfahrpläne längst vorbereitete Vorgang hierzulande in der Öffentlichkeit gerechtfertigt wird – bislang noch ohne nennenswerte Widerstände.
Denn was bedeutet die Zementierung des militärischen Paradigmas im 3. Jahrtausend unserer Zeitrechnung? Sie verurteilt alle Bemühungen, die unvorstellbaren Leiden auf dem Globus infolge der Klimakatastrophe abzumildern und ein Abdanken des homo sapiens in Schande (oder kollektivem Suizid) noch irgendwie abzuwenden, zur Vergeblichkeit!
Der Militärkomplex gehört – im Verein mit einer ultimativ aggressiven Form des Wirtschaftens – zur Dogmatik eines destruktiven Zivilisationskurses. Sofern es der menschlichen Spezies nicht gelingt, sich aus den Fängen der von ihr selbst hervorgebrachten Heilslehre des Militärischen zu befreien, sind Problemlösungen im Zusammenhang mit der menschengemachten ökologischen Krise auf dem Lebensraum Erde nicht einmal denkbar.
Eine Wahl ist zu treffen: Militär- und Konkurrenzlogik oder Klimaschutz-Kooperation des ganzen Erdkreises! Beides geht nie und nimmer zusammen. Wo diese Grundsatzentscheidung unberücksichtigt bliebe, dürfte man keine Schülergeneration mit gutem Gewissen dazu ermutigen, ihre Jugendzeit mit dann folgenlosen und sogar verschleiernden Klimaprotesten zu verschwenden. Sollte es etwa Fridays-for-future-Gruppierungen geben, die sich der militärischen Heilslehre fügen, so wäre es sogar besser für das Wohl der menschlichen Familie, sie wären nie gegründet worden.
Weltfrieden ist die unerlässliche Voraussetzung bzw. Rahmenbedingung für jede vorstellbare Lösung oder Entschärfung der ökologischen Krise. In einer von Militärlogik durchdrungenen Welt der Menschen, so haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, sind nicht einmal Weichenstellungen für einen neuen Weg – eine grundlegend andere Zivilisationsrichtung – zu bewerkstelligen. Vonnöten ist deshalb ein radikales Friedensvotum, welches uns das Geschick der ganzen Gattung vor Augen stellt. Hierfür schlage ich den Begriff "Zivilisatorischer Pazifismus" vor.
Ein neuer Name, aber keine neue Betrachtungsweise
Das so Bezeichnete ist mitnichten etwas Neues. Der Sache nach wird es in der Gegenwart etwa vorgetragen durch den Brasilianer Leonardo Boff, den Nordamerikaner Noam Chomsky, Papst Franziskus, Uno-Generalsekretär António Guterres … oder z.B. auch durch nicht wenige Telepolis-Autor:innen.
Schon im letzten Jahrhundert haben u.a. der 1983 in Vancouver ausgerufene "Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", das Projekt "Weltethos" oder die Deklaration einer "Erdcharta" Wege gebahnt für einen zivilisatorischen Pazifismus im Bewusstsein der ökologischen Krise als Ernstfall.
Das 3. Jahrtausend sollte dann mit der "Uno-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit zugunsten der Kinder der Welt" eingeläutet werden. Alle wegweisenden Initiativen und Impulse wurden aber faktisch gegenstandslos durch das Ende 2001 vom US-Imperium verkündete Paradigma eines weltweiten, permanenten Kriegszustandes. (Vorausgegangen war im gleichen Jahr u.a. ein Rückzug der US-Regierung aus dem Kyoto-Prozess.)
Zu den ältesten Zeugnissen für einen "zivilisatorischen Pazifismus" gehören Verse aus dem Prophetenbuch Jesaia der hebräischen Bibel, die vermutlich im 8. Jahrhundert vor unsere Zeitrechnung niedergeschrieben worden sind:
Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern / und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, / und übt nicht mehr für den Krieg.
Die Kriegsökonomie soll also umgestellt werden auf ein Wirtschaften, das Nahrung (Getreide) und Freude ("Wein") hervorbringt, keine Tötungsprodukte.
Das Römische Imperium beförderte durch seine hochgerüstete Symbiose von "Münze – Macht – Militär" später ein Weltgefühl mit endzeitlichen Bedrängnissen. Religiöse Apokalyptik diente den Unterworfenen in diesem Kontext nicht zwingend als Fluchtweg ins Irrationale, sondern eher zur Aufdeckung von imperialen Gewaltstrukturen.
Die kleine Minderheit der Christen verstand sich als Vorhut einer neuen Zivilisation im Sinne des Propheten Jesaia, in der niemand mehr das Kriegshandwerk erlernt. Solche Anfänge verhinderten es freilich nicht, dass sich nach Kaiser Konstantin (gestorben 337 n.Chr.) in sechszehn Jahrhunderten ein Kriegskirchentum herausbildete, das auch dem industriellen Krieg der Moderne assistiert und sich durch Theologenbeistand für die Atombombe offen zur Gotteslästerung bekannt hat.
Die nach dem Abgrund von zwei Weltkriegen mit insgesamt bis zu 100 Millionen Todesopfern im Juni 1945 – wenige Wochen vor dem Einsatz einer neuartigen, ultimativen Massenvernichtungswaffe – verabschiedete Charta der Vereinten Nationen bezeugt den Vorsatz, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren". Die "Bombe" erledigte allerdings sogleich den Traum einer Demokratie im Miteinander der Völker.
Der "Atompazifismus" zeigt sich in seinen überzeugenden Varianten bereits als ein vollausgebildeter "Zivilisatorischer Pazifismus": Die Bombe ist – wie der Klimawandel – ein Erzeugnis aus der menschlichen Gattung, doch die Menschheit vermag das "Selbstgemachte Ding" offenbar nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Jetzt verfügen bestimmte Akteure erstmalig innerhalb der gesamten Geschichte über die Fähigkeit zur kollektiven (Selbst-)Auslöschung der eigenen Spezies. Es gilt fortan:
An die Stelle des Satzes "Alle Menschen sind sterblich" ist der Satz getreten: "Die Menschheit als ganze ist tötbar.
Günther Anders: Über die Bombe und die Wurzeln unserer Apokalypse-Blindheit
Im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft, die auf Gedeih und Verderb im selben Boot sitzt, gibt es die "Eine Menschheit" erst unter dem Vorzeichen von Atombombe und Klimakatastrophe. Auch wenn Scharlatane etwas anderes erzählen: Fortan stehen keine Heimatinseln und mit hohen Mauern abgesperrte Nationalterritorien für einen Rückzug ins Sichere mehr zur Verfügung.
Vorteile können sich die privilegierten Minderheiten und Regionen auf dem Globus durch einen Abschottungskrieg gegen die Elenden nur für eine kurze Zeitspanne verschaffen. Wir sind in einen Äon eingetreten, in dem sich das Rettende nur für alle ohne Ausnahme zeigen kann – oder eben der Abgrund, dem dann vielleicht schon mittelfristig niemand entrinnen kann.
Militärlogik macht blind
An den Horizont von Zivilisationsgeschick und Menschheitsfamilie wagt sich der wiederauferstandene deutsche Schwertglaube in hiesigen Talkrunden freilich nicht heran. Man begnügt sich weithin mit dem üblichen Kasperle-Theater von Leuten, die eine aktuelle Medienschlacht bestreiten und die nächste Wahl überleben wollen.
Ob selbstgesteckte "nationale Klimaziele" vor der nächsten Wahl eingehalten werden oder nicht, das ist natürlich nicht nebensächlich. Für den "Zivilisatorischen Pazifismus" gibt es freilich einen noch viel schwergewichtigeren "Prüfstein", nämlich die Frage, welchen Beitrag die gegenwärtige Politik in Deutschland zur weltweiten Vernetzung im Dienst einer Revolte für das (Über-)Leben auf dem Globus beisteuert und welche politischen, kulturellen, ökonomischen, wissenschaftlichen, technologischen … Kooperationen sie in diesem Zusammenhang zuwege bringt.
Wo das Geschick des Planeten Erde als Lebensraum verhandelt wird, kann es allein um ein "Gemeinsam-Gewinnspiel" ohne Verlierer gehen. Zur Aufgabenstellung gehört es unbedingt, eine möglichst hohe Punktzahl zu erzielen. Doch im "Gemeinsam-Gewinnspiel" gibt es keine einzige Regel, die uns anfeuert, mehr Punkte als andere zu erzielen. Im Gegenteil: Die höchste Punktzahl kann nur dann erzielt werden, wenn alle sich absprechen, sich in die Karten schauen lassen … und auf ebendiese Weise gemeinsam die höchste "Punktzahl" – das Optimum für alle – erlangen.
Im Licht der "einen Menschheit" gehört es zum Vordringlichsten, überall dem Bewusstsein Bahn zu brechen, dass alle schon deshalb eine Schicksalsgemeinschaft bilden, weil sie denselben Planeten bewohnen. Die menschliche Spezies allein hat die ökologische Krise hervorgebracht. Unter allen Lebewesen auf der Erde vermag auch nur sie es, planmäßig nach Lösungen zu suchen und Brandherde zu löschen. Eine andere Perspektive als die des gemeinschaftlichen Handelns, kann es, hierbei nicht geben (Beratung, abgestimmtes Vorgehen, Kommunikation, Technologie-Austausch, Kooperation, subsidiäre Hilfen, Ausgleich im Sinne einer globalen Gerechtigkeit …).
Die Vereinten Nationen müssen sich angesichts der ökologischen Krise förmlich neu erfinden. Keine zentralistische Weltregierung (Öko-Diktatur etc.) ist das Ziel, sondern ein Prozess der globalen Verbundenheit von unterschiedlichsten Kleinräumen, Ländern, Kulturen oder Kontinenten (keine Uniformität, sondern Vielgestaltigkeit; kein Diktat, sondern Dialog und Synergie). Das Zauberwort heißt "Kommunikation", wobei Fragen der hierfür längst ausgebildeten Kommunikationstechnologie heute nicht mehr im Vordergrund stehen.
Acht Milliarden Menschen sind mit einem schier unermesslichen Erfahrungsschatz als Weltgestalter, Kreative und Erfinder beteiligt. Wenn irgendwo in einem Dorf, einer Region oder einem Land die Lösung für ein bestimmtes Problem im menschlichen Zivilisationsgefüge gefunden wird, sollte sie ohne Patentschutz und Zeitverzögerung von allen genutzt werden können.
In diesem Kontext wäre die so leichtfertig geschmähte "kulturelle Aneignung" von Erfahrungen, Praktiken und Errungenschaften anderer kein Vergehen, sondern eine Überlebenstugend (Gemeinsam-Gewinnspiel). Was dem alle betreffenden "Weltgemeinwohl" dienlich ist, muss überall frei zur Verfügung stehen und somit dem System des Profits entzogen werden.
Das Jahr 2022 hat uns aber einen ganz und gar anderen Ausblick beschert: Wie eh und je soll es weiterhin um das Konkurrenzringen von Imperien, imperialen Komplexen, selektiven Bündnissen zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen und Nationen gehen. Der Uno ist bestenfalls die Aufgabe zugedacht, von Fall zu Fall den Versuch der Raubtierzähmung zu unternehmen. Die Devise lautet bei allen Beteiligten: "Wir werden gewinnen, die anderen müssen verlieren!"
Die Ideologie des aggressiven Wirtschaftens und der Rehabilitation des Krieges macht blind. Sie verhindert die überlebenswichtige Einsicht, dass nichts anderes als ein Gemeinsam-Gewinnspiel ansteht und es hierzu wirklich keine Alternative gibt.
Agenda und Unlogik der militärischen Heilslehre sind der denkbar größte Gegensatz zu einem dialogisch-kooperativen Gefüge der Weltgesellschaft, wie es allein noch Aussicht auf ein neues, lebensfreundliches Klima gewähren kann. Der Verweis auf diesen Widerspruch betrifft das Zentrum des Zivilisatorischen Pazifismus: Ohne Weltfrieden keine ökologische Weltinnenpolitik. Andere sehr bedeutsame Aspekte des Zusammenhangs von Krieg und Klima, von denen einige im nächsten Abschnitt genannt werden, sind demgegenüber nachgeordnet.
Zusammenhänge: Krieg und Klimakrise
"Zivilisatorischer Pazifismus" ist kein friedenspolitischer Nebenschauplatz und auch keine Strategie zur Werbung von pazifistischem Nachwuchs (Argumentationshilfe für Stände der Friedensbewegung), sondern ein grundlegender Ansatz – unter Einschluss von "Atompazifismus" und "Ökopazifismus". Er zielt darauf, die weltweite menschliche Gemeinschaft im 21. Jahrhundert überhaupt erst zu befähigen, eine "Kooperation für das Leben" zu werden und den vom homo sapiens verursachten Katastrophen gegenzusteuern.
Radikal in Frage zu stellen ist nun das mit dem destruktiven Zivilisationskurs verbundene Wissenschafts- und Forschungsparadigma. Die imperiale Zivilisation bringt Beherrschungswissenschaften hervor, die dem Erfolgreichsten Vorteile sichern und in ihren Werkstätten ultimative Technologien des Massenmordes entwickeln.
In den nächsten Jahrzehnten werden aufgrund des Klimawandels weitere Konfliktherde entstehen und zig Millionen Klimaflüchtlinge tödlich bedroht sein. Kriege um Wasser werden den Kreis der gewalttätigen Ressourcensicherung dominieren.
Wider die mannigfachen Verwerfungen infolge der Erderwärmung wären völlig neuartige Ökonomien, Forschungen, Technologien und Produktionen im Dienste der Erhaltung oder Mehrung des Lebens angesagt. Derweil ziehen es die Mächtigen aber vor, ungezählte Milliarden in eine neue Atomwaffengeneration zu investieren – was in sich schon von der Bereitschaft zeugt, Menschen in Massen zu ermorden und zumindest Teile der Erdoberfläche gezielt unbewohnbar zu machen.
Der "Zivilisatorische Pazifismus" ist an dieser Stelle zu 100 Prozent intolerant und bezeichnet das, was aus dem Irrenhaus der Zivilisation kommt, auch als Wahnsinn. Er spricht dem als rational geltenden Nuklearwaffen-Komplex jegliche Verbindung mit einem sinnvollen Verständnis von Vernunft ab.
In seinen Augen sind ausnahmslos alle Akteure, die sich an Entwicklung, Produktion oder Finanzierung der Nuklearwaffentechnologie beteiligen und ein Recht zu Atombombenbesitz oder Atombombenteilhabe beanspruchen, disqualifiziert für eine Politik, die ihrer Verantwortung vor gegenwärtigen und künftigen Generationen gerecht wird. In den Parlamenten sollten die Oppositionellen, die das Leben lieben, nicht aufhören, die Haber, Teilhaber und Kollaborateure der Bombe laut beim Namen zu nennen und den Aberwitz zu verlästern.
Die Zusammenhänge von Krieg und Klima betreffen die Richtung der maßgeblichen Forschungen, die Zweige der Produktionen und schließlich die Budgets für öffentliche Ausgaben. Jeder kann wissen, wie dringend wir Laboratorien, Industrien und Hervorbringungen zum Schutz des menschlichen Lebens brauchen. Gemästet werden jedoch Militärforschung und Rüstungskonzerne, also die Totmach-Industrien.
Die begrenzten Ressourcen fließen an erster Stelle in die Militärapparate. Sie fehlen dann zwangsläufig in den Kassen der Klimaschutzpolitik. Hier fallen Entscheidungen. Kein noch so schmerzliches ökologisches Opfer für den Kriegsgötzen erscheint den vielen unverantwortlichen Entscheidungsträgern zu groß.
Die Rüstungsproduktionen, Rüstungsexporte sowie der Unterhalt der militärischen Infrastrukturen (samt Wartung, Übungen etc.) tragen in beträchtlichem Umfang zur Steigerung der Erderwärmung bei, auch wenn die Waffen noch gar nicht zum Einsatz gekommen sind. Wo die Schlachten dann beginnen, gibt es für das Werk der Umweltzerstörung keine Grenze mehr. Das Militär ist Spitzenreiter der Destruktion.
Die Beendigung des Krieges gegen die Natur – d.h. gegen die Grundlagen des Lebens auf der Erde – stünde unter freien, vernünftigen Diskursbedingungen seit mehr als einem halben Jahrhundert als "T.O.P. 1" auf der Tagesordnung. Die wirkliche Priorität besteht indessen darin, das Programm Krieg und die mit ihm verbundenen astronomischen Profite fortzuschreiben in alle Ewigkeit.
Herausforderungen wider die Vergeblichkeit – "Transzendenz"
Als Erkennungszeichen für den Zivilisatorischen Pazifismus bietet sich das älteste Symbol der "Campaign for Nuclear Disarmament" an, welches auch als stilisierte Darstellung des Menschen gedeutet werden kann und dann zur Frage führt: "Scheitert der homo sapiens?"
Frohnaturen kommentieren die Atombombe trotz Hiroshima und Nagasaki – trotz der Leiden der militär-experimentell Verstrahlten, der Erstschlagoptionen, der fehlbaren Warnsysteme und einer neuartigen nuklearen Waffengeneration – mit Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes: "Et hätt noch emmer joot jejange." (Bislang ist doch noch immer alles gutgegangen. – Erfahrungsgrundlage ist hierbei eine winzige Zeitspanne der menschlichen Geschichte.)
Junge Häuslebauer mit Kinderwunsch winken bei Fridays for future ab: "Überspanntes, hysterisches Endzeit-Gehabe!" Der Kulturredakteur lamentiert ebenfalls über altbackene "apokalyptische Zwangsvorstellungen", denn er schreibt gerade einen anspruchsvollen Essay und will dann zur Belohnung ungestört einen exquisiten Rotwein genießen.
Der Wissenschaftler im vorgerückten Alter möchte derweil sein seit Jahrzehnten bearbeitetes Forschungsvorhaben zu einem Abschluss bringen; denn es kann ja gar nicht sein, dass die Vorstellung einer generationenübergreifenden Kultur-, Kommunikations- und Forschungsgemeinschaft durch eine alsbaldige Katastrophe oder Auslöschung jeglicher Geschichte als naive Illusion entlarvt wird…
Alle diese Verhaltensweisen sind menschlich, sehr menschlich. Jeder von uns ist zu zerbrechlich für die Katastrophe und geneigt, lähmende Prognosen zu Kommendem zu meiden. Wer Tag für Tag, Stunde um Stunde den "zivilisatorischen Ernstfall" erwägt, fällt zwangsläufig in ein Grundgefühl der Vergeblichkeit. Angst und Fatalismus bleiben zurück, sie machen gefügig.
Gibt es eine Weise, "das Fürchten zu lernen" (Günther Anders), die nicht handlungsunfähig macht? Wie könnten wir uns – einander – zu einem klaren Sehen des Weltgeschehens befreien – ohne falschen Trost, aber nicht ohne Beistand? In Abgründe sollte nur schauen, wer Stärkung erfahren hat. Leibhaftige Begegnungs- und Beziehungsräume – jenseits der digitalen Kommunikationsflut – sind schon deshalb unverzichtbar.
Es gab Epochen, in denen das Leben als Geschenk galt, nicht als etwas, das eingekauft werden muss. Zu den Herausforderungen unter dem Vorzeichen des "Zivilisatorischen Pazifismus" gehört die Beleuchtung jener Jahrtausende einer patriarchal gelenkten Geschichte, die mit einer aggressiven Ökonomie, der Heilslehre des Militärischen und zuletzt einem Vernichtungskrieg gegen die natürlichen Grundlagen aller Lebewesen auf der Erde einhergeht.
Kriegs- und Hochrüstungskomplexe sind keine ewigen Naturtatsachen, sondern relativ junge Phänomene der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Es gab eine Zeit ohne sie – und eine "Zukunft ohne Barbarei" ist nur als Zustand vorstellbar, in dem sie wieder abgeschafft worden sind.
Wie nun kann das Lebensdienliche im öffentlichen Gefüge zur Sprache kommen und schließlich Hegemonie (Vordringlichkeit) erlangen? Ethische Überlegungen sind gewiss nichts Falsches, aber durch Moralpredigten werden wir den "Ernstfall der Zivilisation" kaum abwenden können. Sich dem Erbe der Aufklärung verpflichtet fühlen, bleibt ebenfalls ehrenwert. Doch es fehlt summa summarum gewiss nicht an Faktenwissen über Klimawandel und Kriegsapparatur.
Es bleibt weiterhin nötig, das Publikum zu informieren z.B. über die astronomischen globalen Gesamtkosten der letzten Kriegsintervention in Afghanistan, die zwei Jahrzehnte lang währte und neben Leichenbergen als "Erfolg" nur verbuchen kann, das Leben für sehr viele Millionen Menschen zum Schlimmeren gewendet zu haben. Für eine Hegemonie des Lebensdienlichen brauchen wir aber noch mehr als solche Aufklärung, nämlich wirkmächtige Bilder – kein Pentagon-Kino, sondern: "One human family"!
Wenn ich als Theologe an dieser Stelle mehr "religiöse Musikalität" in einer Revolte für das Leben ersehne, so möchte ich nicht missverstanden werden. Jene institutionalisierte "Religion", die jede beliebige Apparatur mit den Versprechungen einer hohlen Jenseitigkeit und einer kapitalismuskonformen Anwendungspastoral stützen kann, pulverisiert sich hierzulande.
Linker "Laizismus" bezieht sich somit auf Kämpfe von gestern. Die biblische Überlieferungsgemeinschaft, aus der ich komme, zielt auf Religionskritik (nicht auf die Konstruktion eines höchsten Wesens oder esoterische Spekulationen). Es geht um einen Aufstand gegen den Tod, um den Sturz der falschen, allmächtig scheinenden Götter des Weltgeschehens.
"Transzendenz" bedeutet in diesem Zusammenhang, die seelische Leere der Gefügigen zu durchbrechen und somit auch jenen toten Denkraum, der die Welt in einen überaus traurigen Ort verwandelt. Wer sich als Mensch auch den noch nicht Geborenen – den künftigen Generationen, denen er nie begegnen wird – verbunden fühlt, gehört bereits zu den Zeuginnen und Zeugen des "Transzendierens".
Die rasante Militarisierung vollzieht sich unter der Losung "Für die Freiheit", während sie in Wirklichkeit in freiheitsfeindliche, autoritäre Verhältnisse hineinführt. Das Wissen um die Kraft von Nonviolence bleibt weiterhin ausgeschlossen vom kommerziellen Massen-Entertainment, denn es betrifft die einzige Form des gemeinschaftlichen Widerstandes, die den Mächtigen und Besitzenden Angst einflößt.
Nonviolence ist keine Passivität, sondern höchste Aktivität: ein Widerstand, der dem Räderwerk des Todes in die Speichen greift, jedoch niemals fremdes Blut vergießt. Die Revolte gilt dem Leben und auch der menschlichen Würde. Falsche Propheten, die das Geschäft der Konterrevolution betreiben, sind leicht zu erkennen. Sie fordern Menschenopfer.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Online-Magazin Telepolis, 19.08.2022: https://www.heise.de/tp/features/Zivilisatorischer-Pazifismus-7224129.html?seite=all