21. September 2019, Quelle: "reformiert-info.de", Autor: Johannes de Kleine.
Foto: Jens Sannig, Gottfried Orth, Thomas Nauerth, Roger Mielke und Ulrich Frey (v.l.n.r.) © Johannes de Kleine
Die evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) und damit auch der Evangelische Kirchenkreis Jülich arbeiten jahresübergreifend am Thema „Kirche des gerechten Friedens werden“. In diesem Zusammenhang
ist der Fachtag zu sehen, der sich mit der Zukunft der Militärseelsorge befasste. Dazu waren ausgewiesene Fachleute nach Erkelenz gekommen: Der evangelische Militärdekan Dr. Roger Mielke, der
katholische Theologe Prof. Dr. Thomas Nauerth und sein evangelischer Kollege Prof. Dr. Gottfried Orth. Mit dabei waren Ulrich Frey, seit langen Jahren in der EKiR in Friedensfragen aktiv, und
Pfarrer i.R. Klaus Kenke, Synodalbeauftragter des Kirchenkreises für Friedensfragen.
Der Superintendent: „Militärseelsorge“ oder „Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten“
In seiner Begrüßung reihte der Jülicher Superintendent Jens Sannig den Fachtag ein in den aktuellen Friedensprozess der EKiR. Hier sei u.a. „auch die Rolle der Bundeswehr und die zunehmende
Umstrukturierung weg von einer Verteidigungsarmee hin zu einer Interventionsarmee, wie sie im letzten Weißbuch festgelegt wurde, unter anderem mit dem Auftrag, auch Handelswege im Notfall mit
Waffengewalt zu verteidigen sowie die zunehmende Einbindung in kriegerische Auseinandersetzungen weltweit, … kritisch hinterfragt“ worden. „In dem Zusammenhang ist dann auch deutlich die Frage
nach der Rolle der Militärseelsorge in einer sich verändernden Strategie der Bundeswehr gestellt worden und inwieweit sich die Kirche mit ihrer Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten durch den
Militärseelsorgevertrag weiter binden und verpflichten darf.“
Soll vereinfacht heißen: Es ist zu klären, ob auch in Zukunft Militärgeistliche als Bundesbeamt*innen in die Bundeswehr eingebunden bleiben („Militärseelsorge“), oder ob sie künftig als Teil der
verfassten Kirche als Pfarrerinnen und Pfarrer z.B. der Kirchenkreises arbeiten („Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten“).
Der Militärdekan: Militärseelsorge ist kritischer Part innerhalb der Bundeswehr
Dr. Mielke sah die Militärseelsorger*innen als wichtige Gesprächspartner*innen für die Soldat*innen, die als Teil der Bundeswehr dazugehören und zugleich den Blick von außen haben. Sie seien
nicht in die Befehlsstrukturen eingebunden, und diese ihre Grenzfunktion sei eine Stärke des Systems, die es beizubehalten gelte. Als Ansprechpartner*innen für die in der Bundeswehr Diensttuenden
seien sie unverzichtbar. Seelsorger*innen seien keine Funktionsträger des Militärs, sondern sozusagen „freie Künstler“.
Beide großen Kirchen hätten sich per Vertrag dazu verpflichtet, Seelsorge in der Bundeswehr anzubieten, wozu auch z. B. die Mitwirkung beim Ethikunterricht gehöre. Die Militärseelsorger*innen
seien (nur) formal Bundesbeamte auf Zeit, der Inhalt ihrer Arbeit werde durch kirchliches Recht geregelt. Sollten die Militärseelsorgeverträge gekündigt werden, handele die Kirche gegenüber der
Bundeswehr nicht mehr auf Augenhöhe und werde an Bedeutung verlieren. Der Staat jedenfalls stelle das aktuell gültige Modell nicht in Frage; er erweitere es sogar um die Einführung der
entsprechenden Betreuung für jüdische und muslimische Soldat*innen sowie für solche ohne religiöse Bindung (z. B. Humanisten).
Der katholische Theologe: Über Militärseelsorge neu nachdenken
Professor Nauerth erinnerte daran, dass in der Ökumene längst nicht mehr vom „gerechten Krieg“, sondern vom „gerechten Frieden“ als Ziel staatlichen Handelns in Konfliktsituationen gesprochen
werde. Der Theologe sieht die Militärseelsorger*innen als „ethische Helfer und Berater der Soldaten und Militärs, damit diese (in Bezug auf die Frage, ob eine kriegerische Handlung erlaubt sei,)
zu einer soliden Gewissensentscheidung kommen“. Im Einzelfall könne das zur Ablehnung einer kriegerischen Handlung führen. Er zitierte den Militärbischof der Jahre 2000-2010, Walter Mixa: „Als
verantwortlicher Seelsorger der katholischen Soldaten der Bundeswehr ergibt sich für mich damit die nicht leichte Aufgabe, dazu beizutragen, dass die genannten ethischen Kriterien nicht nur im
stillen Kämmerlein dem einzelnen Soldaten auferlegt werden. Mein Auftrag erstreckt sich vielmehr auch darauf, dass diese Kriterien in einer öffentlich geführten Debatte der zuständigen
politischen Institutionen und in den Medien im Blick auf Tatsachen und Absichten offen diskutiert werden.“
Aus diesen und ähnlichen Äußerungen des Militärbischofs zog Thomas Nauerth den Schluss: „Ein ganz der kirchlichen Lehrüberlieferung verpflichtetes Leitbild seelsorglicher Schulung und Begleitung
von Soldaten und Soldatinnen … (verdient) wohl kaum noch den Namen „Militär“seelsorge.“ Will sagen: Im Hinblick darauf, dass Soldat*innen sich gegebenenfalls aus Gewissensgründen gegen einen
Kampfeinsatz entscheiden müssten, und dass die Seelsorger*innen ihnen das dazu nötige Rüstzeug zu liefern hätten, sei die Seelsorge an Soldat*innen aus den bisherigen Strukturen zu
lösen.
Der evangelische Theologe: Militärseelsorge abschaffen – Seelsorge beibehalten
Professor Orth nannte als Zentralbegriffe christlicher Gemeinden von ihrem Anfang an: „Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Gewaltfreiheit und Frieden, Freiheit und der Wille, sich
nicht der Welt des römischen Reiches und seinen Gepflogenheiten, Regeln und Berufen gleichzustellen“. Diese Begriffe seien bis heute als Maßstab christlichen Handelns aktuell, wie u.a. in der
Barmer Theologischen Erklärung formuliert. Konkret: „Ordnung und Gestalt, also die Organisationsstruktur der Kirche sind Teil ihres Zeugnisses von Jesus Christus.“ Das gelte dann auch für die
Militärseelsorge, die sich entsprechend nicht an staatlichen/militärischen Strukturen zu orientieren habe.
Seit Gründung der Bundeswehr sei Militärseelsorge immer wieder heftig in die Diskussion geraten. Insbesondere in den 1980er Jahren (Friedensbewegung/Konziliarer Prozess) seien Bundeswehr und
Militärseelsorge radikal in Frage gestellt worden: „Ohne Rüstung zu leben, war der biblisch begründete Wille vieler ökumenischer Gruppen wie evangelischer und katholischer Gemeinden. Doch Staat
und Amtskirchen standen eng zusammen.“ Das Thema „„Kirchliche Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten“ versus „Militärseelsorge“ sei in Gruppen und Plattformen beider großer Kirchen dennoch
unverändert auf der Tagesordnung. „Alternativentwürfe einer kirchlichen Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien liegen auf dem Tisch. Doch um sie wirklich anzugehen, dazu
müsste zunächst seitens der EKD eine prinzipielle und das heißt evangeliumsgemäße Kündigung des Militärseelsorgevertrages erfolgen.“ Sein klares Fazit: Militärseelsorge in bisheriger Form
nein, Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten ja!
Unter Leitung des rheinischen Friedensfachmannes Ulrich Frey schloss eine engagierte und sachkundig geführte Diskussion den Fachtag ab.
Johannes de Kleine, Kirchenkreis Jülich