2022+2023: Krieg in der Ukraine. Für einen Waffenstillstand! Für einen ernsthaften Dialog! Für nicht-militärische Methoden!

  1. INTERNATIONALER VERSÖHNUNGSBUND
    >>https://www.versoehnungsbund.de/2022-03-10-fuer-verstaendigung-erklaerung
    >>Kapitulation als intelligente Reaktion und mutige Tat: https://www.versoehnungsbund.de/2022-03-26-keine-lust-auf-krieg
  2. Kampagne SICHERHEIT NEU DENKEN
    >>Ralf Becker, 14.03.2022: "Gewalt erzeugt Gegengewalt": https://tagblatt.de/Nachrichten/Gewalt-erzeugt-Gegengewalt-538360.html
  3. PAX CHRISTI
    >>https://www.domradio.de/artikel/pax-christi-fordert-gewaltverzicht-im-ukraine-krieg
    >>https://www.paxchristi.de/meldungen/view/5852481867218944/Stoppt%20den%20Krieg
  4. MENNONITEN
    >>https://mennonitengemeinde.de/2022a/stellungnahme-ukraine.html
    >>https://www.mennonews.de/archiv/2022/03/03/koennten-wir-doch-hoeren-eine-stimme-aus-den-friedenskirchen/
    >>Pastor Benjamin Isaak-Krauss: Chancen des gewaltfreien Widerstands. https://eulemagazin.de/die-macht-gewaltlosen-widerstands/ 
  5. Prof. WOLFRAM WETTE (Militärhistoriker)
    https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/572/diesen-krieg-haette-man-verhindern-koennen-8076.html
  6. Ukrainische und russische Kriegsdienstverweigerer
    appellieren an beide Seiten: DIE WAFFEN NIEDER! Persönliche Kontakte über den Verein "Connection e.V." https://de.connection-ev.org/article:kriegsdienstverweigerer-und-deserteure-brauchen-untersta-1-4-tzung-nein-zum-krieg-ukraine
  7. Russisch-orthodoxe Priester
    >>Aufruf auf Englisch, mit Namen: https://virtueonline.org/appeal-clergy-russian-orthodox-church-calling-reconciliation-and-end-war
    >>Auf Deutsch: http://www3.unifr.ch/orthodoxia/de/news/news/26794/priester-und-diakone-der-russischen-orthodoxen-kirche-verurteilen-ffentlich-den-krieg?
    >>Gekürzt auf Deutsch: https://www.neukirchener.de/der-erziehungsverein/aktuelles/detail/appell-der-russians-priests-for-peace

Gottfried Orth am 04.10.2022 in der FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Bedeutet der Ukraine-Krieg das Ende des Pazifismus?"

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Die 10 Regeln des aktiv-gewaltfreien Kampfes
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Freise Nauerth Silber Spiegel
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Matthias-W. Engelke: Brief an Peter Scherle und Gabriele Scherle, FAZ-Artikel
Antwort von Matthias-W. Engelke auf den FAZ-Gastbeitrag „Um zu richten. Der ‚liebe Gott‘ ist tot“ von Prof. Peter Scherle (ehem. Theol. Seminars Herborn) und Gabriele Scherle (ehem. Pröbstin für Rhein-Main und zuvor Friedensbeauftragte der EKHN).
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Zum Ukraine-Krieg. Was politisch von Franz von Assisi in der aktuellen Krise zu lernen ist.
Frieden stiften - vergessene Tradition E
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BAG linke Christ*innen zum Krieg in der Ukraine
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AMG-Könnten-wir-doch-hören-Ukraine.pdf
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Heiligkreuztaler Erklärung, Pax Christi, Juli 2022
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April 2022 Wolfgang Krauss Ostermarsch Rede Augsburg
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BONN ‐ In einer Stellungnahme hatte die Kommission "Justitia et Pax" das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine aufgrund der christlichen Friedensethik betont. Vier katholische Theologen widersprechen dem nun – und üben Kritik. "KANT WIRD ALS MASSSTAB GENANNT, DIE BIBLISCHE BOTSCHAFT NICHT. Ukraine-Krieg: Theologen widersprechen "Justitia et Pax"

30.03.2022 – Vier katholische Theologen haben die Stellungnahme der Deutschen Kommission "Justitia et Pax" zum Ukraine-Krieg kritisiert. "Weithin liest sich die Erklärung wie eine politische Analyse. Kant wird als Maßstab genannt, die biblische Botschaft nicht; die Perspektive des Evangeliums fehlt", schreiben die Professoren Josef Freise, Thomas Nauerth, Stefan Silber und Egon Spiegel in einer gemeinsam Erklärung am Mittwoch. "Die Frage, was für einen Sinn eine Wiederholung üblicher politischer Einschätzungen durch eine bischöfliche Kommission ergibt, drängt sich auf", so die Theologen weiter. Sie hätten sich gewünscht, in der Erklärung der Kommission mehr von "diesem größeren messianischen Frieden" zu spüren. "Aus unserer Sicht dominiert der weltlich ächzend-stöhnende gewaltbewehrte Frieden die Ausführungen."

So sei etwa die Aussage, wonach das in der Lehre der Kirche bejahte Recht auf Selbstverteidigung "im Falle der Ukraine völlig unbestritten gegeben" sei, nicht haltbar. Das Recht auf Verteidigung mit Waffen sei in der kirchlichen Lehre an strenge Bedingungen geknüpft und müsse das letzte Mittel sein. Vorher müssten andere Mittel des zivilen Widerstands erprobt werden, die empirischen Studien zufolge wesentlich weniger Tote fordern würden als bewaffnete Gegenwehr.

Welches Ziel kann bewaffnete Gegenwehr verfolgen?

Zudem müsse sichergestellt sein, dass sich durch bewaffnete Gegenwehr tatsächlich etwas bessert und geschützt oder verteidigt werden könne. "Wer aber will nach diesen furchtbaren vier Wochen Krieg noch wagen, zu behaupten, die Verhältnisse hätten sich durch die bisherige bewaffnete Gegenwehr verbessert? Welches Ziel kann bewaffnete Gegenwehr gegen eine atomar bewaffnete Macht überhaupt verfolgen?", fragen die Theologen. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Frage nach der sittlichen Legitimität von Waffenlieferungen diskutiert werden. "Wenn bewaffneter Widerstand nicht erlaubt ist, wenn Waffen aller Erwartung nach nur zu einer Verlängerung des Krieges und zu weiteren Opfern führen, dürfen keine Waffen geliefert werden", so die Autoren.

Sie fordern, dass sich die Kirche aktive für die Ausreise und das Asyl von Kriegsdienstverweigerern aus Russland wie aus der Ukraine einsetze und kritisieren die geplante exorbitante Aufrüstung des deutschen Militärs. Es sei naiv anzunehmen, dass eine solche massive Aufrüstung nicht auf Kosten der ebenfalls grundlegenden Klima-, Entwicklungs- sowie Sozialpolitik gehen werde, betonen die Theologen.

Die Professoren kritisieren zudem, dass in der Erklärung von "Justitia et Pax" ein Blick auf die Opfer jeglicher Gewalt sowie die Perspektive eines wirklich gewaltfreien Stils fehle, wie es sich auch Papst Franziskus wünsche. "Über die für Papst Franziskus so zentrale Perspektive biblisch begründeter und politisch wirksamer Gewaltfreiheit ist im Papier der Kommission Justitia et Pax wenig zu lesen."

Die deutsche Kommission "Jusitia et Pax" hatte sich nach ihrer Frühjahrsversammlung in Berlin am Sonntag unter anderem für "kluge Waffenlieferungen" in die Ukraine ausgesprochen, da man sich "auf eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Putin-Regime" einzustellen habe. Mit dem "massiven völkerrechtswidrigen Angriff" auf die Ukraine vor einem Monat habe Russland "einen Rubikon" überschritten, heißt es in einer Erklärung. Es handele sich um eine "weltordnungspolitische Auseinandersetzung" und einen Angriff auf die Grundlagen des Völkerrechts. "Der Kampf der Ukrainer und Ukrainerinnen ist daher ein Kampf für ihre und unsere Freiheit und Demokratie."

Josef Freise war vor seiner Emeritierung Professor an der Katholischen Hochschule NRW in Köln und zuvor Referent und Geschäftsführer beim Internationalen Christlichen Friedensdienst "Eirene". Thomas Nauerth ist Professor für Pastoraltheologie und Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück. Egon Spiegel ist Politologe und Theologe und Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie an der Universität Vechta sowie Spezialist im Bereich Friedensforschung und Friedenserziehung. Stefan Silber ist ebenfalls an der Universität Vechta Verwalter der Professur für Dogmatik und Dogmengeschichte. (cbr)


Mit anderen Waffen. Gewaltfreier Widerstand im Ukraine-Krieg.


Die Pazifistin Christine Schweitzer ruft die Ukraine zu sozialer statt militärischer Verteidigung auf. Warum das weder naiv noch ignorant ist. Fragen von Ines Wallrodt, ND, 25.03.2022.

FRAGE: Wer mit Blick auf den Ukraine-Krieg pazifistische Positionen vertritt, bekommt den Vorwurf »naiv« zu sein oder sich nicht für die Angegriffenen zu interessieren. Wie erklären Sie sich das?

SCHWEITZER: Ich denke, das hat mit Hilflosigkeit zu tun, mit dem Gefühl, man muss doch etwas tun. Bis heute ist die Überzeugung ungebrochen, dass irgendwann ein Punkt kommt, wo nur noch Gewalt hilft.

FRAGE: Manch einstige Kriegsgegner sagen heute auch: »Frieden schaffen ohne Waffen« - schöner Satz, leider Blödsinn.

SCHWEITZER: Waffenlieferungen oder weitere direkte Unterstützung der Ukraine bergen große Risiken für die Eskalation des Konflikts. Vor 1989 hätte es mehrfach beinahe einen Atomkrieg aus Versehen gegeben. Die Gefahr ist groß, dass ein solcher Konflikt außer Kontrolle gerät.

FRAGE: Sie fordern nicht nur ein sofortiges Ende des Krieges und Verhandlungen. Sie gehen darüber hinaus und rufen zu einem alternativen Weg des Widerstands auf. Was muss man sich unter sozialer Verteidigung vorstellen?

SCHWEITZER: Soziale Verteidigung als Konzept in der Friedensforschung wurde in den 1950er Jahren entwickelt, als angesichts der Atomwaffen deutlich wurde, dass eine Verteidigung letztendlich gar nicht mehr möglich sein würde. Einer der ersten, der diesen Vorschlag machte, war Stephen King-Hall, ein hoher britischer Offizier. Grundgedanke ist, dass auch ein Angreifer, Putschist oder Diktator in der Regel die Mitarbeit der Beherrschten braucht. Daraus ergibt sich ein Ansatzpunkt für Widerstand. Denn man kann eine solche Zusammenarbeit auch verweigern. Gewaltfreiheit oder Pazifismus sind richtig verstanden ein dritter Weg zwischen Gewalt und Nichtstun.

FRAGE: Gibt es dafür Beispiele?

SCHWEITZER: Soziale Verteidigung könnte ein Generalstreik sein wie beim Kapp-Putsch 1920 in Deutschland, als man sich dem Versuch entgegenstellte, die neue Weimarer Republik zu stürzen. In anderen Fällen, in denen autoritäre Regimes gewaltfrei beseitigt wurden, kamen vielfältige Methoden zum Einsatz, zum Beispiel bei der Befreiung Sambias von der britischen Herrschaft 1961-63, beim Sturz von Marcos in den Philippinen 1986 oder den Aufständen in Osteuropa, auch in der DDR, die das Ende des Warschauer Pakts und der Sowjetunion besiegelten.

Der deutsche Friedensforscher Theodor Ebert hat den Begriff »dynamische Weiterarbeit ohne Kollaboration« geprägt. Hinter diesem sperrigen Wort steckt, dass man nicht in Streik tritt, sondern zum Beispiel als Beamtin oder Beamter an seinem Arbeitsplatz ist, aber Anweisungen nicht befolgt, falsch befolgt oder langsam befolgt. Das hat es schon mehrfach in der Geschichte gegeben, etwa in Norwegen während der Zeit der Besetzung durch die Nazis. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten damals ein neues nationalsozialistisches Curriculum in den Schulen einführen. Doch sie haben einfach ihre alten Lehrpläne weiterbenutzt und sich geweigert, die Naziinhalte zu unterrichten.

FRAGE: Und das hat funktioniert?

SCHWEITZER: Viele sind eingesperrt worden, aber da niemand kooperierte, mussten die Nazis die Lehrer wieder freilassen. Und die Schulen blieben nazifrei. Es gibt viele Beispiele für erfolgreichen gewaltfreien Widerstand, und Friedensforscher*innen haben ihre Erfolge vielfach dokumentiert. Soziale Verteidigung im Sinne einer vorher von einer Regierung beschlossenen und eintrainierten Verteidigung hat es allerdings bislang nicht gegeben.

FRAGE: Was kann solch ein Widerstand ausrichten gegen Panzer, Raketen und den Befehl, keine Rücksicht zu nehmen?

SCHWEITZER: Das Konzept hat Grenzen. Wenn es wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg nur um Landeroberung geht und man bereit ist, die Bevölkerung zu vernichten. Aber so wenig sich Beobachter gerade sicher sind, was Russlands Ziele in diesem Krieg sind: Wahrscheinlich ist ja, dass es um eine russlandtreue Regierung geht oder um die Annexion bestimmter Territorien. Insofern: Bevor der Krieg angefangen hat, wäre es eine Option gewesen, zu sagen: Besetzt uns, aber gewinnen tut ihr deshalb trotzdem nicht, weil wir uns mit anderen Mitteln weiter wehren. Solch einen Widerstand würde kein Aggressor mit Bombardierungen bekämpfen. Einen bewaffneten Verteidiger erschießt man einfacher als die Teilnehmer einer friedlichen Versammlung am Dorfeingang.

FRAGE: Die Ukraine hat sich aber für einen anderen Weg entschieden. Gegen Ihren Vorschlag wird deshalb eingewendet, dass er nicht die Interessen - und Nöte - der Angegriffenen berücksichtigt - und diese mutmaßlich auch nicht interessiert.

SCHWEITZER: In dem Moment, wo man Waffen liefert oder irgendetwas anderes tut zur Unterstützung des Krieges, übernimmt man Mitverantwortung für den Krieg und für die Gewalt. Und wenn man diese Gewalt ablehnt, hat man auch das Recht, solche Bitten abzuschlagen. So schwer es ist. Und überhaupt: In der Ukraine findet durchaus ziviler Widerstand statt. Es gibt etliche Berichte von Bürgermeistern, die sich weigern, die Anweisungen des russischen Militärs zu befolgen. Im Moment des Angriffs haben sich unbewaffnete Menschen Panzern entgegengestellt, und die Panzer haben teilweise wirklich abgedreht. Natürlich stehen sämtliche Kriegsberichte unter dem Vorbehalt, dass wir nicht wirklich überprüfen können, was stimmt. Aber Fakt ist, dass die Ukraine schon zweimal Erfahrungen mit zivilem Widerstand gemacht hat in den letzten 20 Jahren - 2004 in der Orangenen Revolution und 2014 auf dem Maidan. Insofern wäre das vielleicht doch ein Weg, wenigstens für die Städte.

FRAGE: Die Städte sollen sich besetzen lassen?

SCHWEITZER: Nach dem Prinzip der offenen Stadt, wie sie im Zweiten Weltkrieg vielfach angewendet wurde, besonders bekannt ist Rom.

FRAGE: Bedeutet das nicht Kapitulation, so wie Russland sie etwa in Mariupol gefordert hat?

SCHWEITZER: Übergang zu sozialer Verteidigung heißt nicht Kapitulation. Bei einer Kapitulation akzeptiert man, dass der Besatzer das Recht und auch die Pflicht hat, für die Verwaltung und für die Bevölkerung zu sorgen. Stattdessen nimmt man hier zwar hin, dass die Truppen kommen und verzichtet auf militärischen Widerstand. Gleichzeitig beginnt man aber eine Art Volksverteidigung, nur ohne Waffen. Man wählt also in gewissem Sinne andere Waffen.

FRAGE: Würde damit nicht so ein Überfall zu leicht gemacht? Auch mit Blick auf die Angst der baltischen Länder, sonst die nächsten zu sein. Immerhin treibt die militärische Gegenwehr die Kosten für Putin in die Höhe und zeigt, dass er nicht machen kann, was er will.

SCHWEITZER: Die Frage ist, was Putin beabsichtigt. Was er da in seinem Papier vom Juli 2021 geschrieben hat, von der mittelalterlichen Rus und den Brudervölkern Belarus und Ukraine, das spricht ein bisschen gegen einen Angriff auf das Baltikum. Ganz abgesehen davon, dass das halt Nato-Staaten sind. Aber klar, ich hätte noch am 23. Februar gesagt, dass Russland nicht die Ukraine angreifen will. Insofern halte ich mich jetzt mit Vorhersagen zurück.

Die zentrale Frage ist: Wann ist der Punkt erreicht, wo das, was man verteidigen will, nicht mehr da ist, weil es zerstört wurde? Gerade bei einem rücksichtslosen Gegner wie Putins Militär, das offenbar bereit ist, viele zivile Opfer in Kauf zu nehmen und versucht, mit den Bombardements der Städte den Widerstandswillen der Ukrainer zu brechen. Bei aller Bewunderung für den Zusammenhalt in der ukrainischen Gesellschaft stellt sich die Frage, wann Verteidigung noch verhältnismäßig ist.

FRAGE: Wie würden Sie diese Frage beantworten?

SCHWEITZER: Wir sitzen hier im sicheren Deutschland. Und es ist natürlich billig, den Menschen in der Ukraine Ratschläge zu geben. Trotzdem sollte man auch darauf hinweisen können, dass es andere Möglichkeiten gibt. Wir wissen nicht, wie dieser Krieg ausgeht. Vielleicht gibt es eine Verhandlungseinigung und die Waffen schweigen. Das wäre natürlich zu hoffen. Denkbar ist aber auch, dass Russland sich militärisch durchsetzt. Und was dann? Dann ist vielleicht auch für die Ukrainer der Zeitpunkt gekommen, zu gewaltfreien Mitteln zu greifen.

FRAGE: Wie könnte soziale Verteidigung dann aussehen?

SCHWEITZER: Bei einer Besetzung der Ukraine durch Russland würde sich der Widerstand mutmaßlich eher auf den politischen Bereich richten. Russland würde wahrscheinlich eine Regierung einsetzen und dann irgendwelche Wahlen durchführen und da ginge dann keiner hin, die Behörden würden nicht mitmachen und die Bevölkerung würde alles boykottieren, was von den neuen Machthabern kommt. Egal, ob es der eigene Diktator ist oder ob ein fremdes Land einmarschiert ist: Es geht eigentlich immer um dasselbe: um die Beseitigung einer Herrschaft, die man nicht als tolerierbar ansieht.

FRAGE: Bekommen Sie Reaktionen aus der Ukraine auf solche Vorschläge?

SCHWEITZER: Wir haben Kontakt zu Leuten aus dem Umfeld der Internationale der Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, die den Dienst an der Waffe verweigern, sowie zur Ukrainischen Pazifistischen Bewegung um Yurii Sheliazhenko, der in Kiew lebt. Von denen hören wir, dass man sich so einig in der Ukraine nicht ist. Auch da gibt es Männer, die nicht kämpfen wollen. Die nur nicht außer Landes gelassen werden, weil es Kriegsdienstverweigerung als Recht in der Ukraine nur sehr eingeschränkt gibt.

FRAGE: Viele andere Berichte aus der Ukraine erzählen allerdings, dass es dort weit mehr Freiwillige für die Armee gibt als die gerade braucht.

SCHWEITZER: Das will ich nicht bestreiten. Aber es gibt auch diese anderen Stimmen - sicherlich ist es eine Minderheit. Natürlich ist es im Moment schwer, mit anderen Meinungen oder Fragen und Zweifeln Gehör zu finden. Ich glaube aber, wenn man Menschen fragen würde, wie es mit diesem Krieg weitergehen soll, würden auch mehr sagen, lasst uns doch lieber zu zivilem Widerstand übergehen. Aber man kann ja keine Volksbefragung machen mitten in einem Krieg.

FRAGE: Der Bürgermeister von Kiew sagt: »Im schlimmsten Fall werden wir sterben, aber wir werden uns niemals ergeben.« Soll heißen: »Lieber tot als unfrei«. Er scheint völlig andere Grundannahmen zu haben als Sie.

SCHWEITZER: Eine Grundannahme ist, dass kein Mensch das Recht hat, für andere Menschen zu entscheiden, ob sie leben oder sterben wollen. Gewaltfreier Widerstand ist nicht risikolos. Weltweit haben dabei viele Menschen ihr Leben verloren. Aber es ist zumindest die Option, wo man nur sich selbst in Gefahr bringt. Politiker sprechen mit solchen Statement jedoch nicht nur für sich selber, sondern sie entscheiden das für alle anderen. Auch für die, die das nicht wollen. Und dass es diese Menschen auch in der Ukraine gibt, sieht man ja daran, wie viele versuchen, das Land zu verlassen. Insofern würde ich nicht davon reden, dass das Konsens in der Gesellschaft ist.

FRAGE: Sie rufen auch die russische Bevölkerung und die russischen Soldaten auf, ihren Gehorsam zu verweigern. Wie realistisch finden Sie das in einem autoritären System?

SCHWEITZER: Ich sehe da sogar mehr Potenzial, als ich selbst lange Zeit gedacht habe. Wir wissen von einzelnen Leute, die versuchen, sich dem Wehrdienst zu entziehen, indem sie das Land verlassen. Deutschland sollte das fördern und russischen Kriegsdienstverweigerern Asyl gewähren. Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) hat gerade eine sehr spannende Dokumentation »Russians are against the war on Ukraine« online veröffentlicht. Demnach sind in den ersten Tagen des Krieges in Russland mehr als 330 000 Tweets mit dem Hashtag »Nein zum Krieg« auf Twitter erschienen. Das illustriert, die Zahl der Menschen, die den Krieg ablehnen, ist sehr viel höher, als man auf der Straße wahrnehmen kann. Ich gehe davon aus, dass die Kampfmoral bei den russischen Truppen nicht besonders groß ist. Viele der jungen Männer, die jetzt in der Ukraine kämpfen, stellen nun fest, dass die ganze Propaganda, mit der sie gefüttert wurden, nicht stimmt. Die Ukrainer haben nicht auf die Befreiung von Nazis gewartet. Und die Ukrainer können das auch noch in ihrer eigenen Sprache erklären. Gemeinsame Sprache und vielfältige familiäre Bande - das sind für soziale Verteidigung eigentlich günstige Bedingungen.

Christine Schweitzer,

geb. 1959, beschäftigt sich wissenschaftlich mit Fragen von Krieg und Frieden am Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (IFGK). Zudem ist sie Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung. Ihre Promotion schrieb Schweitzer über Interventionen im Raum des ehemaligen Jugoslawien. Die Friedensforscherin ist in der Friedensbewegung aktiv und praktisch in der zivilen Konfliktbearbeitung u. a. auf dem Balkan engagiert.

QUELLE: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162475.gewaltfreier-widerstand-im-ukraine-krieg-mit-anderen-waffen.html


Quelle: Mitteldeutsche Kirchenzeitung, 12. April 2022, von Matthias Kreck und Rolf Wischnath. Zum Krieg in der Ukraine. Die Jesusfrage. Radikales Friedensevangelium.

Als die Häscher Jesus gefangen nehmen und einer seiner Wegbegleiter ihn mit dem Schwert verteidigt, entgegnet er ihm: „Stecke das Schwert an seinen Ort. Denn wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.“ Ein Mensch der wie kein anderer unschuldig war, wird zum Opfer von Gewalt und verbietet die Gegenwehr.

Er folgt damit der Leitlinie, die sich wie ein roter Faden durch sein Dasein zieht: „Wer sein Leben erhalten will, der wird´s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird´s finden.“ Und er sagt: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Und darüber hinaus heißt es: Liebt eure Feine und tut Gutes, die euch hassen.“ „Segnet, die euch verfluchen.“

Eindeutiger kann man sich zur Frage, was Jesus dem sagt, der seine Ziele mit Waffengewalt durchsetzen oder sich mit Waffengewalt wehren will, nicht äußern: Der Mann aus Nazareth verbietet Gewalt. Aber bezieht sich das auch auf Gegengewalt? – Ja! Wer das fordert, muss sich fragen lassen, ob er es zu Ende gedacht hat, ob er die Abschaffung des Widerstandsrechtes fordert und ob er ihm die Konsequenzen klar sind. Jesus sind die Konsequenzen klar. Es sind die Konsequenzen, die er für sich selber erwartet und am Kreuz erfährt. Darum kann er von sich und seinen Nachfolgern fordern: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Hier wird nichts abgemildert: 

Wenn Jesus vom Kreuz redet, dann ist es das Kreuz, das er selber tragen musste und an dem er getötet wurde. Es ist das Äußerste, was ein Mensch zu ertragen bereit sein soll. 

Aber das ist nicht das Einzige, was Jesus zu den Konsequenzen sagt. Er verbindet es mit einer Verheißung. In den Seligpreisungen sagt er denen, die Frieden stiften, dass sie „Gottes Kinder“ heißen werden. Und denen, „die da Leid tragen“ – und Leid wird denen, die sich nicht mit Gewalt wehren, drohen -, sagt er: „Denn sie sollen getröstet werden“. Zusammengefasst ist das der wahre Frieden.

Wie könnte im Ukraine-Krieg wahrer Friede aussehen, wenn die Menschen hüben und drüben diesen Maximen gefolgt wären und dem Gekreuzigten auch jetzt noch folgten? Die Antwort hat zwei Seiten: eine überprüfbare und eine, die auf Hoffnung baut. Die überprüfbare wäre: Es wäre unendliches Leid vermieden worden.

Denn was ist die Bilanz des nun bereits über Wochen andauernden Krieges? Der Waffengang in der Ukraine hat schon jetzt tausende Menschenopfer gekostet. Gefangennahmen und Versklavungen und Vergewaltigungen finden statt. Zerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes geschehen. Flüchtlingsströme ziehen von Ost nach West. Ein Einsatz von Atomwaffen droht. Es ist sogar in der Logik des Abschreckungssystems wahrscheinlich, wenn der Unterlegene im Krieg seine letzte Karte ausspielt. Unbeschreibliche Hungersnöte entstehen in den Ländern des Südens, die bislang aus der Kornkammer Ukraine ernährt worden sind. Sie sind schon eingetreten – zusätzlich zu den unzähligen Hungersnöten, die aus unserem Gesichtskreis entschwunden sind.

Auch die Sanktionen gegen Russland sind Kriegsmittel. Sie werden eine unvorstellbare Armut zur Folge haben – nicht für Putin, seine politischen Speichellecker oder die sogenannten Oligarchen, sondern für die „kleinen Leute“ in der Weite Russlands, die schon jetzt nicht Brot und Wasser genug zum Leben haben. Und: Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung. Nicht zuletzt: Hass, Hass, Hass. Der Krieg in der Ukraine ist schon jetzt grenzenlos geworden. Und die Kämpfe können noch Jahre dauern – vor allem in den Seelen der Menschen.

Aber was wäre bei der Alternative geworden? Wir wissen es nicht. Aber wenn Jesus Frieden verheißt, dann hat dieser Frieden zwei Seiten: nämlich die des Friedens Gottes, der höher ist als alle Vernunft, und der sich einmal ganz auf Erden wie im Himmel durchsetzen wird. 

Und auf der anderen Seite ist ein hier und jetzt zu achtendes Postulat, das keinen Menschen aufgibt, die Opfer nicht und noch nicht einmal den Gewaltherrscher im Kreml und erst recht nicht die mit Panzer ausgerüsteten und missbrauchten russischen Soldaten. Einige von ihnen waren nicht bereit, die sich ihnen entgegenstellenden Wehrlosen zu überfahren. Dies mag nur eine Geste gewesen sein. Aber möglicherweise war sie auch die Folge einer Feindesliebe, die diese Soldaten zumindest hat dazu bewegen können, nicht zu schießen.

Viel „Menschenvernunft“ spricht gegen das Gebot der Feindesliebe. Was alles wäre auf die Menschen in der Ukraine zugekommen, wenn das Land sich mit Mitteln der Gewaltlosigkeit verteidigt hätte? Und welch ein Aufschrei wäre erfolgt, wenn die christlichen Kirchen das in der Nachfolge Jesu Notwendige gesagt hätten?

Aber wäre denn die Nachfolge Jesu ein höherer Preis gewesen als das alles zerstörende Elend, das nun das Land überzieht? Und sollten Christen nicht auf die höhere Vernunft, auf die Vernunft Gottes vertrauen und auf die Kraft, die Paulus verheißt: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist´s eine Gotteskraft. 

Die Autoren: Matthias Keck ist Professor für Mathematik. Rolf Wischnath ist Professor für Evangelische Theologie und ehemaliger Superintendent für den Sprengel Cottbus. https://www.meine-kirchenzeitung.de/c-aktuell/radikales-friedensevangelium_a33116