Adolf von Harnack , Bodo Bischof (Hrsg.), Peter Bürger (Hrsg.), 500 Seiten, ISBN-13: 9783753417592, Verlag "Books on Demand", erschienen April 2021, Band 6 von 8 in der Reihe "Schriften über Krieg und Christentum"
„Wie sich Religion und Wissenschaft restlos in geistige 42 cm Kanonen verwandeln…“
… zeigt der hier anzuzeigende Band: A. v. Harnack, Schriften über Krieg und Christentum. Hrsg. Von B. Bischof und P. Bürger in Kooperation mit der Solidarischen Kirche um Rheinland. Edition
kirche & weltkrieg. Band 6. Norderstedt 2021. 500 S. 15.90 €
Anfang August 1914 entwirft v. Harnack für seinen Kaiser Wilhelm II. den Kriegsaufruf. In ihm heißt es: „Gott der Herr hat das deutsche Volk erschaffen, damit es den Beruf erfülle, zu dem Er es
verordnet hat. Das wollen die Feinde verhindern. Wir aber antworten mit dem Rufe: Auf! Zu den Waffen! Gott will es! Um Sein oder Nichtsein unseres deutschen Vaterlandes handelt es sich, um
deutsche Macht, deutsche Stärke, deutsche Kultur!“ V. Harnack nimmt mit dem Ausruf „Gott will es!“ eine Formulierung der Papst Urban II. zuhörenden Volksmenge zu Beginn des ersten Kreuzzuges 1095
auf. 2004 benutzte George Bush die Kreuzzugsmetapher gegen die „Schurkenstaaten“. Historische Kontinuitäten und trotz aller friedenstheologischer Bemühungen nahezu ungebrochene Kontinuitäten über
nahezu 1000 Jahre Kirchen- und Theologiegeschichte, die aufhorchen lassen.
Aufklären über solche kriegstheologischen Positionen christlicher Theologen vor und während der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert will das Publikationsprojekt „kirche & weltkrieg“.
Gewissenhaft ausgewählt und ebenso sorgfältig wie präzise dokumentieren die bisher erschienen Bände katholische und protestantische Diskurse über Krieg und Frieden.
Als sechster Band ist nun eine Dokumentation von von Harnacks Schriften über Krieg und Christentum erschienen. Das 500 Seiten starke Buch enthält insbesondere seine Schrift „Militia Christi“ aus
dem Jahr 1905. Es folgen Reden, Aufsätze und Dokumente v. Harnacks zum Themenbereich Krieg und Christentum aus den Jahren 1912-1922, biographische Kontexte aus den Aufzeichnungen von v. Harnacks
Tochter, Agnes von Zahn-Harnack, aus dem Jahr 1936 sowie weitere kenntnisreich ausgewählte Dokumente einiger Zeitgenossen v. Harnacks. Die einleitenden Bemerkungen zu diesem Quellenband
reflektieren v. Harnacks Arbeiten als „Theologe und Staatsdiener“. Der Band schließt mit zwei aktuellen Nachbetrachtungen zur Thematik.
Ich lese das Buch als eine Aufforderung zur Trauer: Friedenstheologische und friedenskirchliche Bemühungen, in deren Richtung evangelische Kirchen mit ihren Überlegungen zum „gerechten Frieden“
statt ihrer früheren Positionierung eines möglichen gerechten Krieges weisen, bedürfen m. E. als erstes einer gründlichen Aufarbeitung der eigenen kriegstheologischen und kriegskirchlichen
Vergangenheit. Es erscheint mir unmöglich, ohne einen solchen Trauerprozess die Seiten zu wechseln und Positionen einzunehmen, die zumindest bisher weder theologisch noch kirchlich von den
evangelischen Kirchen oder der katholischen Kirche als leitend akzeptiert worden sind. Dass eine solche grundsätzliche Veränderung hin zu friedenstheologischen und friedenskirchlichen Positionen
eigentlich längst überfällig erscheint, macht nicht erst die ökumenische Debatte der letzten 70 Jahre deutlich, sondern bereits K. Barths hellsichtige Reaktion auf „das schreckliche Manifest der
93 deutschen Intellektuellen (unter ihnen auch v. Harnack), die sich vor aller Welt mit der Kriegspolitik Kaiser Wilhelms II. und seines Kanzlers Bethmann-Hollweg identifizierten.“ Es war ihm
eine „Götterdämmerung“, als er in jenem Manifest „studierte“, wie Religion und Wissenschaft „restlos sich in geistige 42 cm Kanonen verwandelten“. Barth entdeckte als Unterzeichner sämtliche
seiner theologischen Lehrer und hielt für sich fest, dass an ihrem „ethischen Versagen“ sich zeige, „dass auch ihre exegetischen und dogmatischen Voraussetzungen nicht in Ordnung sein könnten“.
Im Nachwort zu seiner Schleiermacher-Ausgabe formuliert er: „Eine ganze Welt von Exegese, Ethik, Dogmatik und Predigt, die ich bis dahin für grundsätzlich glaubwürdig gehalten hatte, kam damit
und mit dem, was man damals von den deutschen Theologen sonst zu lesen bekam, bis auf die Grundlagen ins Schwanken.“
Das Publikationsprojekt „kirche & weltkrieg“ und nicht zuletzt der hier angezeigte Band zu Adolf v. Harnack zeigt die Aufgabe, die vor den Kirchen und Theologien, den Christinnen und Christen
in Deutschland steht, die „ganze Welt von Exegese, Ethik, Dogmatik und Predigt“ friedenstheologisch denken und entsprechend handeln zu lernen, erst recht, wenn „Sicherheit neu zu denken
ist“.
Gottfried Orth
Siehe auch den entsprechenden Artikel bei Heise/Telopolis: https://www.heise.de/tp/features/Auf-zu-den-Waffen-Gott-will-es-6041926.html